Dosensuche unter den Augen von Zeus
Cachen zwischen Pauschaltourismus, traumhaften Landschaften und Lost Places
Als bei der Planung des Familienurlaubs Kreta auf der Liste stand, genügte ein kurzer Blick auf die Cachekarte und die
damit verbundenen potentiellen Dosen
um den Flug zu buchen. Es waren zwar mit 334 Caches nicht allzu viele, aber die zugehörigen Bilder und Logeinträge
versprachen tolle Locations. Und ich
sollte nicht enttäuscht werden...
Abbildung 1: Morgens aufwachen und diesen Ausblick genießen, das ist Urlaub wie man sich ihn wünscht
Gut im Hotel angekommen, war die erste Dose mit der Länderkategorie Griechenland längst überfällig. Hatte ich doch am
gestrigen Transfertag das Flughafen
TB-Hotel schon links liegen lassen müssen. Warum musste auch der Bustransfer zum Hotel so reibungslos funktionieren. Aus
dem Flugzeug direkt in den Bus,
Türen zu und los ging's. Keine Verspätung, keine Wartezeit, an uns Cacher denkt mal wieder niemand.
Aber das war gestern. Heute brennt es unter den Nägeln. Ein Hindernis gibt es aber noch: Tausend Meter Luftlinie am
steilen Berg mit Serpentinenstraßen,
kein Auto.
Also hilft nur eins. Laufschuhe und Joggingklamotten an und auf zum ersten Cache.
Abbildung 2: Die Bucht zum Cache 'Romanica Beach' wartet mit traumhafter Aussicht und hält was der Cachename
verspricht
Da der Hinweg bergab führt, hält sich die Belastung in Grenzen, die Dose ist schnell gefunden und die Location ist
grandios, GC15MJC „Romantica Beach“, der
Name ist Programm. Wann sitzt man beim Loggen schon mal auf Felsklippen und sieht unter sich die Brandung des
Mittelmeeres gegen dieselben rollen?
Der erste Cache in Griechenland, wieder ein Land mehr rot auf der Statistikkarte.
Da ich es zu Beginn mit der Sportlichkeit nicht übertreiben möchte liegt das Lauftempo des Rückweges meist im
Fußgängerbereich, sodass von „Laufen“ eher
selten gesprochen werden kann. Aber es geht ja auch steil den Berg hinauf.
Der nächste Tag. So gut und zahlreich das Essen im Hotel ist, so schlecht ist das Sportprogramm der Animation. Das
ist, abgesehen von der Kinderdisco
mit Töchterlein, nämlich komplett ausgefallen. Mal fehlt der Volleyball, mal ist das Tischtennisnetz kaputt. Wer konnte
auch ahnen, dass im Sommer Gäste
kommen?
Um der All-In-Völlerei zu entgehen, knipse ich das Oregon an. Nächster Cache: 1,9 Kilometer. Das klingt doch gut.
Ich laufe also wieder los. Unterwegs mache ich den Fehler und stelle die Navigation von „Luftlinie“ auf „Schnellste
Strecke“ um. Aus den 1,9 Kilometer
werden schlagartig 3,2. Dazu der nächste Schock: Der Weg führt über eine Schnellstraße ohne Bürgersteig oder Radweg,
dafür voll gestopft mit Autos, deren
griechische Fahrer ihrem Ruf der lockeren Auslegung von Tempolimits vollständig nachkommen.
Abbildung 3: Endlich oben um die Aussicht auf Malia Bay zu genießen
Aber ich habe Glück, parallel zur Schnellstraße gibt es eine kleine Nebenstraße, die hauptsächlich von Fußgängern,
Rollern und Quads benutzt wird. Es
stellt sich heraus, dass sie mich bis auf hundert Meter an meine zweite Dose GC1DKH2 „Malia Bay“ heranbringen wird.
Diese liegt oberhalb der Bucht von Malia
und bietet als Belohnung für die Kletterei eine herrliche Aussicht über den gesamten Küstenbereich. Malia ist eine
ehemalige Palastanlage, die etwas 1900 v.
Chr. errichtet worden ist. Heute sieht man leider aber fast nur noch die Produkte des Pauschaltourismus. Interessant am
Listing ist noch, dass zum Schluss
angegeben wird, bei Problemen möge man seine Maintenance Wünsche nicht an den Owner, sondern direkt an Team OMILOS
senden, die diesen Cache
freundlicherweise betreuen würden. Ein Hinweis, den ich nicht zum letzten Male sehen werden.
Abbildung 4: Ein Blick zurück zeigt nicht nur den Weg, den ich gerade gelaufen bin, sondern auch die Strecke,
die es zurückzulaufen gilt.
Nach einer halbstündigen Log- und Fotopause (die Kilometer des Rückweges verhindern irgendwie, dass ich aufstehe und die
Dose wieder verstecke) geht es
zurück Richtung Hotel. Nach dem Abstieg melden meine Knie, dass sie es gar nicht lustig finden, nach Monaten der Ruhe
jetzt diese Mörderstrecke auf sich zu
nehmen. Aber die Aussicht auf eine kalte Dusche, Magnesium gegen Muskelkrämpfe und ein eisgekühltes Bierchen lassen die
Schmerzen nach und nach
verschwinden. Außerdem schließt das Restaurant in einer knappen Stunde, weswegen dieses Mal sogar der Killerberg zum
Hotel hoch im Lauftempo genommen wird.
Nach ein paar Tagen mit mittlerweile zaghaft stattfindender Sportanimation ist es endlich soweit: Heute bekommen
wir unseren Mietwagen. GPSr,
Fotoapparat, TBs und Reservebatterien liegen seit Tagen bereit, sodass es nach einem deftigen Frühstück losgehen kann.
Als erstes steht ein Lost Place auf dem Programm. GC2QGRR „Nikithianos Windmills“, einer der größten
Windmühlenkomplexe der Insel.
Abbildung 5: „Nikithianos Windmills“ ist einer der größten Windmühlenkomplex der Insel
Die ersten Kilometer auf griechischen Straßen bringen die Erkenntnis, dass das Wort „Standstreifen“ in der hiesigen
Sprache wohl nicht existiert. Der
rechts durch ein dicke durchgezogene Linie abgetrennte Bereich erhält seine Daseinsberechtigung dadurch, dass
Autofahrer, die sich so einigermaßen an die
vielen 70er, 50er oder 30er Schilder halten wollen, sich möglichst nah am Straßengraben aufhalten damit Nicht-Touristen
in der Mitte bequem überholen
können. Dabei ist dieses Verhalten nicht auf Autofahrer eingeschränkt, wie ich am letzten Urlaubstag feststellen durfte,
als unser Busfahrer sich nicht
durch die Tatsache stören ließ, dass er gerade 50 Touristen mit sich führte und munter ein Auto nach dem anderen
überholte.
Aber zurück zum Cache. Dieser besitzt zwar einen eigenen Waypoint „Parking“, zwischen Erkennen der zwei Meter
breiten Lücke in der Sträucherhecke am
Straßenrand und dem „Ups, das war er wohl“ lagen gefühlte hundert Millisekunden. Der Begriff „Ausfahrt“ ist hier wohl
ebenso ein Fremdwort. Als ich bei der
nächsten Gelegenheit wende und versuche den Parkplatz durch ambitioniertes Linksabbiegen zu erreichen, werde ich direkt
durch intensives Hupen darauf
aufmerksam gemacht, dass der Mittelstreifen nur zum Überholen und nicht zum Abbiegen erfunden wurde.
Nach erfolgreichem Parkvorgang und 15 minütiger erfolgloser Suche an einer gut erhaltener Windmühle entdecke ich
warum mein GPSr immer noch 30 Meter
Entfernung anzeigt. Auf der anderen Straßenseite gibt es oben auf dem Berg noch halb eingefallene Ruinen älterer
Modelle.
Abbildung 6: So schön der Ausblick auch ist, so anstrengend war der Aufstieg
Die Überquerung der gut und vor allem schnell befahrenen Nationalstraße erhöht sowohl die T-Wertung, als auch den
Abenteuerfaktor, da der Highway, wie
ihn die Einwohner liebevoll nennen, hier eine unübersichtliche Kurve bildet.
Nach einer kurzen Kraxelei den Felsen hinauf genieße ich oben einen sehenswerten Lost Place mit fair versteckter
Dose und tollem Ausblick. Kurze Pause,
einmal loggen und dann geht es zurück zum Parkplatz, der wie ich nun sehe auch durch eine Unterführung ohne
lebensgefährlicher Straßenüberquerung erreichbar
ist. „Na Prima“, denke ich und überfliege im Auto dann doch mal das Listing. „... Achtung bei Einparken … Parkplatz nur
in Richtung Agios Nikolaos
erreichbar … benutze die Unterführung und klettere auf den Berg“.
Besser als jeder Hint, man sollte das Listing halt vor dem Heben lesen, auch beim papierlosen Einsammeln von Tradis.
Abbildung 7: Das ehemalige Fischerdorf Agios Nikolaos hat sich heute schön herausgeputzt
Weiter geht’s Richtung Agios Nikolaos, vorbei an der bereits bekannten Mischung aus Tempolimits und Ankündigungen von
Radarfallen. Die Griechen scheint
dies beim Gasgeben aber nicht zu stören.
Abbildung 8: Die Aussicht auf die Bucht ist einfach traumhaft
Der Cache GC208QE „Lake“ verspricht eine wunderschöne Aussicht über den See des Städtchens. Dieses ist ein
ehemaliges verträumtes Fischerdörfchen, dass sich in den letzten Jahren Dank Luxustourismus beachtlich herausgeputzt
hat. Und richig, es wurde nicht zuviel versprochen: Die Aussicht ist grandios und die Vorfreude auf das Städtchen
wächst.
Abbildung 9: "Ja ist denn hier schon Venedig?"
Im Yachthafen ist alles sauber und geordnet und für einen Moment komme ich mir vor, als wären wir im italienischen
Venedig. Ein wohltuender Eindruck, wenn man bisher nur T-Shirt-Verkäufer, Minisupermärkte und Autovermieter in den
Siedlungen gesehen hat.
Abbildung 10: Der Jachthafen ist auf jeden Fall ein Ausflug wert
Nachdem wir durch die Fußgängerzone gebummelt sind und auf dem Parkplatz unsere Lunchpaket dran glauben mussten, zieht
es den nichtcachenden Teil der
Familie auf einen angrenzenden Spielplatz während ich mich entscheide den Aufstieg zum Cache durch die engen Gässchen zu
nehmen.
Abbildung 11: Abseits der Touristraße zeigt Agios Nikolaos seine verträumte Seite
Eine gute Entscheidung, denn der Weg führt über zahlreiche verträumte malerisch schöne Treppen und bietet ein Bild wie
Nikolaos außerhalb der Tourizonen gebaut ist. Der Cache
selbst besteht zwar nur aus einer Ü-Ei-Verpackung und ist in eine Steinmauer gelegt, das Panorama mit See und
anschließendem Yachthafen zeigt aber, dass die
Dose hier nur zweitrangig ist.
Auch wenn die Kreter noch in langer Hose und Pulli durch die Straßen ziehen, ist es für uns definitiv zu warm und
so geht es zurück ins Hotel, denn der
Lockruf der kalten Dusche ist kilometerweit zu hören.
So erfrischt geht es anschließend zum ersten kretischen Geocaching Event.
Neben einigen netten Plaudereien mit anderen Urlaubscachern lerne ich hier mit drei Teams direkt 60 Prozent der
Cachinggemeinde dieser Insel kennen.
Unter ihnen ist auch das Team OMILOS, die wie ich von ihnen erfahre neben ihren eigenen 93 Dosen auch unzählige weitere
Caches betreuen, die von Urlaubern
gelegt wurden. Ich habe fast das Gefühl dass sie mehr Dosen pflegen als selber gefunden zu haben. Da bekommt der Begriff
Passivcacher eine ganz neue
Bedeutung.
Bei weiteren Gesprächen mit lokalen Aktivisten erfahre ich, dass die Einwohner auf Kreta stets freundlich sind (was
ich aus eigener Erfahrung
bestätigen kann) und dass das geflügelte Wort „Kein Problem“ hier Lebensmotto ist. Und wenn es doch etwas zu lösen gibt,
dann stets mit einer „griechischen
Lösung“. Wie in vielen Gegenden Südeuropas wird auch hier die Lebensqualität groß geschrieben und die Vokabel „Stress“
ist wahrscheinlich genauso bekannt
wie „Standstreifen“.
Abbildung 12: Auch wenn nur eine der beiden Radarschüsseln ausgefüllt ist, erinnert das Gebilde doch start an
Walt Disney
Als wir auf die Radarschilder zu sprechen kommen, erklärt sich auch warum sich nur Fremde an Tempolimits halten. Da die
Einwohner keine Radarfallen
mögen, würden die Starenkästen einfach so lange kaputt geschossen, bis den Behörden Zeit und Geld ausgeht um neue
aufzustellen.
Nach dem obligatorischen Eventtradi geht es auf zum frisch empfohlenen „Mickey Mouse Mountain“ GC2DJPW. Hierbei
handelt es sich um eine ehemalige
amerikanische Radarstation, deren Schüsseln von weitem wie zwei Micky Maus Ohren ausschauen. Der Name ist genauso
treffend wie die Aussicht wieder
überragend ist. Aber diese Cacheeigenschaft erwähne ich ja nicht zum ersten Mal.
Abbildung 13: Gott sei Dank hab den Leihwagen mit Vollkasko ohne SB genommen.
Beim Blick auf die Zufahrtsstraße wird mir schnell bewusst, warum es die
richtige Entscheidung war, beim Mietwagen auf Vollkasko ohne Selbstbeteiligung zu setzen. Die mit tiefen Rillen
durchzogene Betonstraße lässt jeden
DDR-Gedächtnis-Plattenweg als Luxusautobahn erscheinen. Selbst bei Tempo 20 mache ich mir ernsthaft Sorgen,
Radaufhängung und Stoßdämpfer würden nur noch
mit angehangener TB Marke zurück zum Verleih finden.
Abbildung 14: Zum Abschluss gibt es wieder Lost-Place Feeling bei einer weiteren Windmühle
Praktischerweise können sich Mietwagen und Fahrer bereits nach wenigen Metern eine Pause gönnen um weitere Windmühlen zu
begutachten. GC2DP00 „Venetien
Windmills“ erscheint zunächst nur eine weitere Ruine zu sein, entpuppt sich aber als echtes Lost Place Schmuckstück mit
Steinturm und Wendeltreppe, die man
ersteigen muss um zur Dose zu gelangen. Ein Ort, der geradezu danach schreit, bedost zu werden. Zum Glück wurde er
erhört.
Abbildung 15: 3 x darfst du raten, wo die Dose liegt... Richtig, genau da wo sie hingehört
Als ich wenige Tag später im Flugzeug sitze (nein, es war wieder keine Zeit fürs TB-Hotel) lässt sich Geocaching auf
Kreta mit einer Eigenschaft
zusammenfassen: Sehr qualitativ. Hier gilt noch Klasse statt Masse. Alle Dosen waren fair versteckt, die Aussicht war
stets grandios und es wurde jedes Mal
auf etwas Besonderes hingewiesen, wofür es sich lohnte hinzufahren (oder auch manchmal zu joggen). Es war Cachen auf
hohem Niveau.
Ich werde zu Hause eine Menge Statistiktradis einsammeln müssen um genügend Favoritenpunkte für die kretischen
Dosen zu sammeln.